„Nicht die 25-Stunden-Woche ist radikal, sondern die Tatsache, dass es nicht mehr Unternehmen versuchen.“

 

Im ersten Teil unseres Interviews mit David Luna von GAMMA Digital & Beyond haben wir bereits typische Fehler bei Digitalisierungsprojekten beleuchtet. Wie eine 25-Stunden-Woche die Produktivität steigern kann und warum sich Unternehmen zu sehr auf die Digitalisierung versteifen, darüber sprechen wir in Teil zwei.

David, gibt es für dich „Hidden Champions“ der Digitalisierung?

Ein Beispiel das ich hier besonders hervorheben möchte, ist die Bielefelder Digitalagentur Rheingans Digital Enabler. Dazu muss ich jedoch etwas ausholen: 1914 verkürzte Henry Ford die Wochenarbeitszeit seiner Fabrik auf 40h und nutzte dabei die Vorteile neuartiger Montagelinien, die die Produktivität der Mitarbeiter steigerten.

Das Internet und andere Technologien haben, wie wir wissen, die Produktivität noch weiter gesteigert – aber dennoch sind die Löhne nicht oder kaum gestiegen und die Arbeitsstunden sind gleichgeblieben. Zum Vergleich: Anfang 1913 betrug die Arbeitszeit für die Produktion eines Model T etwa zwölfeinhalb Stunden. Bis 1914, nachdem Ford das Fließband eingeführt hat, fiel diese Zeit auf nur 93 Minuten.

100 Jahre später hat Stephan Aarstol erstmalig in seiner Paddleboard Firma in den USA die 25-Studnen-Woche eingeführt und berichtete über eine Produktivitätssteigerung von 40 Prozent.

Der Geschäftsführer der Bielefelder Digitalagentur Rheingans Digital Enabler hat dann im November 2017 testweise die 25-Stunden-Arbeitswoche bei sich eingeführt – bei gleichem Gehalts- und Urlaubsanspruch. Die Ergebnisse dieser Testphase überzeugten ihn so sehr, dass er dauerhaft bei dem Modell geblieben ist. Aber nicht die 25-Stunden-Woche ist radikal, sondern vielmehr die Tatsache, dass es nicht mehr Unternehmen versuchen.

Was können wir von diesem Beispiel lernen?

Wenn die Arbeit zeitlich begrenzt ist oder wir diese stark verkürzen, zwingt sie Unternehmen darüber nachzudenken, wie man etablierte Prozesse anpassen oder neu denken muss oder wie Technologie dabei helfen kann Tätigkeiten zu erledigen, um den Output zu erhöhen.

Heutzutage haben wir mehr Möglichkeiten um produktiver zu sein, nutzen diese jedoch nicht im Ansatz, wenn es darum geht die Organisation deutlich flexibler und zukunftsfähiger zu machen. Hier liegt noch sehr viel ungenutztes Potenzial.

Heute soll möglichst alles digital sein, bleiben bei diesem Hype auch Themen auf der Strecke?

Ja, auf jeden Fall. Heute sehen wir die Tendenz, dass sich Unternehmen zu sehr auf „Digitalisierung“ versteifen, anstatt ihr eigentliches Problem zu lösen.

Was meinst du damit?

Im Kern geht es darum, wie es bestehende Organisationen schaffen, unter veränderten Bedingungen innovativ und konkurrenzfähig zu bleiben. Somit ist es ein Mangel an überlebensnotwendiger Anpassungsfähigkeit, der die Organisationen in die sprichwörtliche Zwickmühle bringt. Unternehmen müssen ihren Umgang mit der Marktdynamik, Komplexität und Ambiguität anpassen. Digitalisierung hilft zwar, effizienter zu werden, aber nicht, um den großen organisationalen Herausforderungen Herr zu werden.

Kurzum: Technik ist wichtig, aber es sollte nicht an erster Stelle stehen. Es ist letztendlich nur ein Werkzeug, um ein konkretes Problem zu lösen. Und manchmal lösen sich Probleme deutlich effektiver ohne Technik.

Glaubst du, dass irgendwann alles so weit digitalisiert ist, dass der Mensch nur noch als Administrator von Systemen produktiv arbeitet?

Ich bin da nicht so pessimistisch wie viele andere, die behaupten, dass die zunehmende Automatisierung uns die Lebensgrundlage entzieht. Im Gegenteil. Nehmen wir nur das Beispiel Geldautomaten. Man hätte annehmen können, dass mit deren Einführung Bankangestellte weitestgehend überflüssig werden, weil es von nun an die Automaten sind, die routiniert Geld ausgeben.

In der Tat ist die durchschnittliche Zahl von Bankangestellten in Amerika von 20 pro Filiale im Jahr 1988 auf 13 im Jahr 2004 gesunken. Aber zugleich senken Geldautomaten die Kosten für den Betrieb einer Bankfiliale, sodass die Banken als Reaktion auf die Kundennachfrage mehr Filialen eröffnen konnten.

So stieg zum Beispiel die Zahl der städtischen Bankfilialen im gleichen Zeitraum um 43 Prozent, sodass die Gesamtzahl der Mitarbeiter zunahm. Anstatt Arbeitsplätze zu vernichten, änderten die Geldautomaten die Arbeitszusammensetzung der Bankangestellten: weg von Routineaufgaben, hin zu Tätigkeiten wie Verkauf und Service.

Die Arbeit des Menschen wird also werthaltiger?

Das besagt auch das „Automation Paradox“: Je effizienter ein automatisiertes System ist, desto wichtiger und kritischer wird der menschliche Beitrag als Bediener der Systeme. Der Mensch ist weniger involviert, aber seine Mitwirkung wird umso kritischer. Wenn ein automatisiertes System einen Fehler hat, wird es diesen Fehler vervielfachen, bis er behoben oder abgeschaltet ist. Hier kommt der Mensch ins Spiel.

Einige Aufgaben werden zwar ersetzt, aber der Mensch wird weiterhin im Mittelpunkt stehen – mit neuen Fähigkeiten, die sich auf die Kommunikation und nicht auf repetitive Aufgaben beschränken. Ob sich unsere Systeme, wie Wirtschaft, Gesellschaft und Politik dafür schnell genug anpassen, wird sich zeigen.

Vielen Dank, David, für das Gespräch.

 


Artikel wurde ursprünglich am 13.02.2020 auf Syncwork veröffentlicht.


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